Gallische Delikatessen

Franziskusweg – Tag Zwei

Die Nacht war aufregend. Zwischen Tierlauten, die mich in verschiedenste Welten versetzen. Das Scharren ist zu laut für einen Vogel. Dann ein Grunzen. Ganz nah neben mir im Unterholz – ein Wildschwein – nicht zu sehen dafür eindeutig zu hören. Respekt stellt sich ein. Ich leuchte – denn was man sehen kann hat’s schwerer, einem Angst zu machen. Sehe nichts. Trete näher heran. Einen Stein los. Der poltert über den Abhang. Kurz Ruhe. Ein Fauchen. Geraschel das sich entfernt. Die Sau kommt nicht wieder und ich wache mit Blick in den kitschblauen Himmel wieder auf. In Stia gibt’s Kaffee (Cafe) und Brioche. Der Reim ist am abklingen. „La mia zia su la via per stia.“ Los geht’s, dem mir wieder wohlgesonnenen Pilgerführer nach. Unsere wiedergewonnene Freundschaft hält nur kurz an. Ungefähr ein paar Meter – dann lotst er mich zu weit, vollbewachsene Hänge hoch, klippen hinab, und das alles oftmals ohne Anzeichen eines Weges oder von Zivilisation. So schön das Land ist, so unwirtlich zeigt es sich, wenn man es herausfordert. Sobald die  empfohlene Pfadbreite von 40cm unteritten wird, besitzt plötzlich alles Dornen. Auch die ohne Früchte, was genau genommen unfair ist. Während ich mich durchkämpfe und Juckreiz an allen Enden ignoriere, kämpft die Sonne auch. Alle Rekorde so zu durchbrechen, wie der König aller Dornen es mit meiner Schuhsohle macht. Er ist erfolgreicher. Ich humple. Die Essenz des Lavendels auf die Wunde, die Essenz des heutigen Tages aufs Papier: Erstaunlich wie eng Frustration und Glücksgefühl in Ausnahmesituationen nebeneinander einhergehen. Ebenfalls Getriebenheit und das völlig passive Annehmen der Gegebenheiten. Diese Zustände haben heute viel von ihrem absoluten Charakter eingebüßt. Als ich beim Kloster Camaldoli (zweite Silbe betont) ankomme, bin ich streichfähig. Schatten. Kaffee (Cafe), Obst, Brot, Grappa optional. Der Reiseführer offeriert ein goodie: Wenn ich nicht nach Camaldoli (gleichnamiges Dorf) absteige, beträgt die nächste Tagesetappe nur siebenkilometerzweistunden. Ich hab zu viele Nächte meiner Jugend sinnbefreiter Weise vor Computerspielen verbracht, um die Chance auf ein Bonuslevel verstreichen lassen zu können. Also geht’s durch Buchenwald. Jede Menge davon. Der ist so schön, dass ich mir vorstelle, die Nazis hätten niemals existiert, damit ich den Begriff konnotationsfrei genießen kann.

Zielort. Das war Leistungssport. Zwei Tage lang. Die morgige Etappe wird –laut Buchenwaldführer- eine der Härtesten. Ich bin froh, dass ich heute  gelernt habe:

  1. Genügend Wasser ist wichtiger als Proviant
  2. Im Zweifelsfall immer die sichere Variante (GPS)
  3. Kein Stress

Was ich außerdem gelernt habe:

Was jede/r hier besitzt:

  • Hund
  • Auto
  • Stimme

Was niemand hier besitzt:

  • Hundeleine
  • Stress

Im Dorf Badia Prataglia gibt’s Rotwein nur in Flaschen. Das wäre prinzipiell sympathisch (wenn auch nach dem heutigen Tag etwas überambitioniert), würden die Kellner nicht „wer ignoriert den doofen Turi am längsten“ spielen. Gut, dass man hier eh kein Trinkgeld gibt. Voller Vorfreude auf animali regionali geht ich ins „Bett“. Die Hängematte hängt sicherheitshalber höher. Die Messlatte nicht.