Mafia

Franziskusweg – Tag Vier

Der Fleischberg neben mir schnarcht (-) die ganze Nacht wach. Abgesehen von der kurzzeitig erheiternden Erkenntnis, dass sich der Mensch, wenn er sich optisch der Wildsau annähert, dies auch schlafenderweise in akustischer Form tut (fett und borstig – grunzt die ganze Nacht), bietet mir dieser Umstand – und auch jener, dass sich die restlichen drei Insaßen unseres Matratzenlagers in ähnlich semiattraktive Schlafraumbeschallungen ergießen – wenig Anlass zur Freude. Ich wünsche mir verliebte Eichhörnchen zurück, und schlafe auf dem Gang (Kacheln). Morgens beginnt schmerzender Glieder die Suche nach herzhaften Frühstückselementen. Diese scheinen in der Region zu den aussterbenden Arten zu gehören – sogar in den Kaffee (Cafe… wie oft noch?) will mir Zucker geschüttet werden. Nachdem sich einer der Wirte im Dorf dazu erbarmt, dem einsamen Touristen mit der aufsteigenden Verzweiflung im Blick und dem leeren Magen eine Piadina in den Toaster zu schieben, während Besagter sich zwei Cappuccinos in die Magengrube stellt, werde ich im Garten vom Mafiapaten in Empfang genommen. Ohne seinen Maßanzug vom Plastikmöbel zu erheben deutet er mit der brennenden Zigarette auf den Stuhl neben ihm. „Sit. You don’t pay. Sit.“

Er erkundigt sich nach der Natur meiner Laufstöcke. Hat geschulten Blickes bemerkt, dass es sich dabei um Nordic Walking-Equipment handelt. Spricht in gebrochenem Englisch. Ich in gebrochenem Italienisch zurück. Grinst mir seine Goldzähne entgegen, während er –meine Bemühungen seine Muttersprache zu lernen wohlwollend anerkennend- meinen Unterarm tätschelt. Inspiziert die nächsten Tagesetappen im Pilgerführer. Moniert mit seinem Sitznachbar über seine Aufenthalte in meinen kommenden Zielorten. Hustet. „Boun Camino“. Nicht nur nehme ich also etwas von der Spiritualität La Vernas mit, auch der Segen des Mafiapaten soll mich von nun an begleiten.

Mit der diffusen Gewissheit, dass nicht nur ich, sondern auch La Verna in guten Händen ist, starte ich in Richtung –Name nicht aussprechbar- (Pieve di San Stefano). Sechs Stunden Fußweg. Eine davon durch Dschungel. Sumpf und Dornen. Ich zweifle. Verzweifle. Geführt von dem Schundheftchen, welches sich da Pilgerführer nennt, schneide ich mir moderne Kunstwerke in die Schienbeine. Ohne GPS wäre ich liegengeblieben. Hätte ich eh sollen. Gedanken ans Aufgeben. Knicke um. Nix passiert. Kurz traurig, dass mir die Entscheidung weiterzugehen nicht von einem Unfall abgenommen wurde. Kann nicht so viel trinken wie ich schwitze. Schon gar nicht so viel verbrennen wie ich esse. Suche die Meditation. Im Laufen. Muss ich immer wieder das Schundheft studieren. Nix meditieren. Kleinigkeiten schmerzen wie Großigkeiten. Einzige Erkenntnis, die ich heute aus der durchwegs eintönigen Landschaft ziehen konnte: Die Italiener packen Gipfelkreuze dorthin, wo die Vorarlberger noch Autos parken.  Die „das –mach-ich-locker-Attitüde“ von vor dem Anfang wird zum Teufel gejagt. Ich kämpfe. 40° (gefühlte Wahrheit – tatsächlich keine Temperaturen über 32°C). Bed and Breakfast. Lila Bettwäsche (Lavendel). Steinpilzpizza (schlecht) im Tagesetappenzieldorfstättchen, welches das italienische Pendant zu Eggenfelden zu sein scheint. Nichts offensichtlich Schönes. Eine Autobahn direkt daran vorbei und ein Drecksloch von Fluss mitten durch (sollte sich kurz nach verfassen der Zeilen als der Tiber herausstellen. Allerdings bedingt durch den enorm niederschlagsarmen Sommer in seiner seit Jahrzehnten erbärmlichsten Form: Mehrere große grünlich-gelbe Pfützen in einem völlig ausgemergelten Flussbett. Keine Fließbewegung mehr zu erkennen. – Die folgenden Zeilen entstanden nach der Rückkehr aus einer der beiden Dorfpizzerien Pieve di San Stefanos)
Eine Pizza, zwo Viertln und die Welt schaut wieder anders aus. Morgen geht’s frisch fröhlich weiter. Lila Schlaf.

(Lavendel)