Ich möchte eigentlich nur noch leicht betrunken in Italien sitzen

Franziskusweg – Tag Fünf

Ich unterbreche das Schreiben. Stimmen auf Treppe und Gang. Die überwschäng(er)liche Wirtin mit dem Schielauge bringt mir drei zwanzigjährige Pilgerinnen ins Dormitorio. Eine davon afrikanischer Abstammung. Ich denke nach, an welchen Erwachsenenfilm mich die Szene erinnert. Doch sie sind herzallerliebst,  dem Feuerstein schwingenden Pfadfindermädel wesentlich näher als der Amateurschauspielerin, verhalten sich völlig jugendfrei (nicht mal Kissenschlacht FSK 16) und flüstern, weil sie denken, dass ich schlafe. Am wichtigsten: Sie schnarchen nicht! Zuckersüß ist auch der Morgen nach einer gesunden Mütze Schlaf. Mir dreht es beim Anblick der sich auf dem Frühstücksbuffet türmenden Kuchen, Croissants und Plunder eine Plastiktellerschüssel Joghurt mit Cornflakes in die Hand und den Magen um. Meine Befürchtung, es könnte sich bei den Cornflakes um jene, mit unsichtbarem Zuckerguss handeln, bewahrheitet sich nicht. Dafür ist das Naturjoghurt gezuckert (!!! dabei hab ich extra nochmal nachgeguckt – stand groß NATURALE drauf). Dazu ein Glas Blutorangennektar (gezuckert) und einen Verlängerten (Ja… da hab ich gestaunt…). Mich beschleicht der Verdacht, dass der Italiener (Maximialano Mustermanno) nicht per se süßer isst als unsereins. Er konzentriert es nur auf die Morgenstunden (die These wird von einer Studie der WHO gestützt, wonach europaweit nur die Schweizer und Rumänen dünner sind als die Italiener).
Nachdem ich 1,23kg Rucksackinhalt in einem Staatsverfahren (italienische Post) nach Hause verlandschifft habe, geht’s los. Problemlos. Staune wie viel die Mütze Schlaf ausgemacht hat. Nach dem gestrigen Tag habe ich damit gerechnet, heute zwischen Aufstehen und Kilometer fünf mit einem Schweinehund der Stufe 4 (Wildschweinehund: zum Vergleich auch oft gesehen bei Versuchen einer Frau Gefühle der Zuneigung zu gestehen, oder bei Zahnarztbesuchen) zu kämpfen zu haben.

Nix dergleichen. Es geht sich wie von alleine über komfortable Schotterwege, hin zu Aussichtspunkten inklusive Stausee und kühlen Waldpassagen. Spontan wird das Hiker’s High erstmalig mit Musik aus der Dose zelebriert. Famous last words. Die former emokids begleiten mich daraufhin noch drei Alben lang (Fallout Boy, All Time Low, Fountains of Wayne). Doch auch der Pilgerweg entzieht sich nicht dem allseits bekannten Prinzip der gemeinen Achterbahn (Gondolus Achterbahnus), und so folgt dem High das Tal auf den Fuß. Und im Tal hat’s 30°. Und keinen Schatten. Für zehn Kilometer. Und das Wasser. Wird Knapp. An mir vorbei auf Gemüsefelder gesprüht. Beissen. Schälen. Beissen. Schälen. Beissen. Banane gibt Zucker und Calcium. Das muss reichen. Reicht knapp. Ich torkle leicht dehydriert in die hässlichste Stadt der Welt (Momentaufnahme. Aus nüchterner Distanz betrachtet ist die Vorstadt von Sansepolcro tatsächlich als Drecksloch zu bezeichnen. Hinter der Stadtmauer verbirgt sich jedoch Gegensätzliches.), kaufe Wasser, Kaffee (Cafe),  Pizza, Bett. Mitten in Sansepolcro steht eine Mauer. Die trennt in imposanter Weise, und in deren ästhetischer Unterschiedlichkeit derart eindeutig, Vorstadt von Altstadt. Umgeben von Autobahnabfahrten, Autohändlern und uringefüllten Limoflaschen am Straßenrand versteckt sich dahinter ein malerisches Städtchen mit einer riesigen einladenden Fußgängerzone und weniger riesigen dafür umso einladenderen Fußgängern. Als ich aus dem Schlafraum im Kloster trete kommt mir auf dem Flur der Schnarcher entgegen, und ein kalter Schauer über. Er hat ein anderes Zimmer. Wildschwein gehabt.