Gladiator
Franziskusweg – Tag Eins
Wenngleich die Operation Franziskusweg vor allem unter dem Credo der Zwanglosigkeit begonnen hat, verspüre ich seit Stunden den Drang zu dokumentieren. Konservieren lässt sich das hier ja sowieso nicht, aber das Bedürfnis, dass am Ende mehr greifbares Material bleibt als ein paar Handyfotos soll zumindest den Versuch wagen, sich zur Reise zu verhalten… (jetzt, da ich diese Zeilen in den Computer hämmere, ist der Vorgang von einer Profanität, die mir beinahe die Finger lähmt).
Ich habe meine Hängematte am Waldrand, eine undurchsichtige Blätterfront von einer wenig befahrenen Landstraße entfernt aufgebaut, sitze aktuell in ihr, trinke einen Schluck Grappa und esse eine Paprika (gelb). Der erste Tag hat mit ein wenig Furcht begonnen. Aber eben wirklich nur ein wenig. In Anbetracht des Ausmaßes der Reise und allem was sie mit sich bringt, war das Bauchkribbeln im Zug –wenn überhaupt- alibihalber. Und los geht’s. 10:00 früh. Zwei Tiroler Mädels knapp hinter mir. Ich grüße mit „Hello“ … möchte mit niemandem sprechen.
Die erste Tagesetappe verläuft komplikationslos. Ich kann die Schönheit des Landes noch nicht fassen. Alles sieht aus wie im Film. Gladiator. Die Mädels überholen. Ich überhole wieder. Ich verlaufe mich ein wenig und sie gewinnen Vorsprung. Während sie pausieren überhole ich endgültig. Vieles sieht aus wie zu Hause. Nur dass dann da plötzlich Kakteen steen. Und die Farben viel intensiver scheinen. Das kann jedoch an der Jahreszeit liegen… Mitte August hat hier der Herbst bereits seine Finger im Spiel und Blätter in allen Rot- und Brauntönen mischen sich mit Ewiggrünem. Consuma heißt das erste Tagesziel. Das Örtchen ist wundervoll und von der Aussichtsplattform will ich nicht mehr weg (von weiter weg: keinerlei Ähnlichkeit mit zu Hause mehr). Wann immer ich an Menschen vorbeilaufe, grüßen sie freundlich und winken. Meinesgleichen ist hier nicht unbekannt. Die Strecke, für die laut Pilgerführer sieben Stunden veranschlagt sind, hab’ ich in viereinhalb hingebogen. Es ist halb drei Uhr Nachmittags. Ich trinke einen Kaffee (Cafe) und will heute noch weiter. Consuma verleitet zum gemütlich(en) bleiben. Plätze für’s Übernachten gibt’s zu Hauf. Ich bin zum laufen gekommen. Nicht zum schlafen.
Tagesziel zwei: Stia – Fünf Stunden veranschlagt, sollte heute noch zu machen sein.
Nach einer knappen Stunde in Consuma geh ich weiter. Fasse noch immer nicht, wie schön das Land ist. Ein 90jähriger sitzt in Feinripp an einem Brunnen und trinkt aus einer Korbflasche. Klischees über Klischees. Also verpasse ich das Haus bei dem ich abbiegen sollte und spaziere feucht fröhlich weiter bis der Weg mit Privatweg-Schildern zugepflastert ist. Eine sehr blonde, sehr nette Frau, die gar nicht italienisch aussieht, und dafür einen sehr italienischen sehr nervigen Hund dabei hat, hilft mir weiter. Fragt den Hofbesitzer und übersetzt auf englisch. Weiter. Ins Gestrüpp. Der Weg ist im Führer nicht verzeichnet, aber noch bin ich auf Abenteuer gebürstet. Ich klettere Klippen entlang (leicht übertrieben), häng an Brombeeren fest, kugel Abhänge runter (schwer übertrieben), bin allein auf weiter Flur. Der Umweg beträgt gefühlte zwei Stunden und die Hälfte meiner Nerven. Dank GPS darf ich auf den vorgeschlagenen Pfad zurück und jetzt stimmt nichts mehr. Komme wieder ab. Wieder Umweg. Frust. Erfinde einen Reim, den ich mir durchgehend vorsage, bis ich mich selbst nicht mehr hören kann. Der Pilgerführer ist ungenau. Frust. Fliegen überall. Frust. Zehn Stunden auf den Füßen. Frust. Elf Stunden . Stia in Sicht. Frust weg. Die Stadt sieht sogar von oben wie gemalt aus. Zwischen Erschöpfung und Frust hatte ich eine kurze out of body-experience. Sah mich von Hinten, die Straße richtung Stia entlanggehen. Stöcke klappern. Rucksack voll. Vor dem Panorama, das in allen Farben sprüht, die gut für die Seele sind.