Der einzige Feind, den es wert ist zu hassen
Auftragsarbeit zu den 350 Jahr-Feierlichkeiten der Leopold Franzens-Univesität Innsbruck
von David Baldessari
Nach einer wahren Begebenheit
Zwei Spieler:
A, Porsche, Dibetto, Aigner
B, Schraffl, Tommasi, Ermacora
Requisiten:
Aktenkoffer
Akten
Gedicht
Technik:
Beamer
Leinwand
Soundanlage
Licht (vier bis fünf Stimmungen)
I
Dr. Tommasi: (hält das Verhandlungsprotokoll in der Hand) Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Was fällt ihnen ein? Das nennen sie ein Protokoll? Das? Diesen Schmutzfleck? Diese Per-Post-Lügengeschichte?
Was? (hört zu) Ich beruhige mich wenn es mir passt.
Nicht genug damit, dass ich mich bereits während des Verfahrens mit ihren Unprofessionalitäten konfrontiert sehen musste – jetzt übermitteln sie mir auch noch dieses aus der Luft gegriffene Drecksblatt? Wie? (hört zu) Mit Sicherheit NICHT werde ich mich zügeln.
Meine Mandanten verbringen acht Monate im Kerker, sehen ihren privaten wie geschäftlichen Ruf dauerhaft wegen eines Lausbubenstreichs gefährdet, und weil das noch nicht reicht, wird in einem getürkten Verfahren auch noch ihrer akademischer Karriere ein Grab geschaufelt. Und sie schreiben sich christliche Nächstenliebe auf die Banner?
Pff…. (hört zu) Ich? Ich scheine hier der einzige zu sein, der noch klar denkt. Mein einziger Fehler war, von einer Bagage akademischer Sesselfurzer und Bürokraten Professionalität zu erwarten.
(hört zu) Ja ja… Beleidigung… Wissen sie was eine Beleidigung ist? Das hier! (wedelt mit dem Protokoll) Dass sie eine so sträflich verknappte Zusammenfassung der Verhandlung veröffentlichen, und von mir erwarten, ich würde das einfach schlucken. DAS ist eine Beleidigung meines Intellekts.
(hört zu) Ja, ich weiß schon, dass sie sich das selbst glauben. Sie glauben ja bestimmt auch noch, dass sie die Situation objektiv beurteilt hätten. Da frage ich mich aber schon, wie sie entschieden hätten, wenn ein ideologisch weniger aufgeladener Gegenstand beschädigt worden wäre. Wie hätten sie wohl entschieden, wenn es in dem Gedicht nicht um Juden, sondern um… ach was weiß ich… Amerikaner, Kommunisten, Araber oder Neger gegangen wäre? Fragen sie sich das doch mal, wenn sie heute Abend in ihren Jugendstil-Schlafzimmern liegen. (hört zu)
Zwei junge Menschen – Potenziale – Rohdiamanten denen rein der Schliff fehlt – sehen jetzt NACHDEM SIE REUIG IHRE STRAFE ABGESESSEN HABEN der kompletten Vernichtung ihrer Zukunftschancen entgegen. Dank Ihnen. Zwei junge Menschen haben sich einen dummen Streich erlaubt. Eben WEIL ihnen der Schliff fehlt. Und Sie verurteilen sie lebenslang zu Hilfsarbeit. Zwei Potenziale vergeudet. Bravo. Bravo. (applaudiert langsam)
Lassen sie mich ihnen eins noch sagen: Insgeheim wissen sie genauso gut wie ich, dass die Verhandlung getürkt ist. Genauso gut wie ich, dass das Urteil übertrieben und unnötig ist. Genauso gut wie ich, dass hier aus purer Ideologie und nicht aus Objektivität gehandelt wurde. Pure Feigheit spricht hieraus (zeigt das Protokoll)
(hört zu)
(hört zu)
(hört zu)
Nein, wir legen keine Berufung ein.
(Ab)
II
A: In der Nacht von 21. auf den 22.11.1961 begingen die beiden Studenten Klaus Peter Porsche und Kuno Schraffl mehrere Straftaten, deren besondere Verstrickungen…
B: … besonders, weil noch nie dagewesen, …
A: … der Disziplinarkommission Kopfzerbrechen bereiteten.
B: Klaus Peter PORSCHE, Jahrgang ’41, Geboren in Wels, Aufgewachsen in Bad Hall, Oberösterreich, Ordentlicher Student der Medizin seit 13.10.‘60
A: Kuno SCHRAFFL, Jahrgang ’42, Geboren und aufgewachsen in Bozen, Südtirol, Ordentlicher Student der Medizien seit 24.10.‘60
B: Es ist ein kühler Dienstag Abend,im November, als die beiden Medizinstudenten Porsche und Schraffl gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Diedrich THOMS beschließen, sich in der Wohnung Porsches im Innsbrucker Stadtteil Sieglanger-Mentlberg das eine oder andere Heißgetränk zu genehmigen.
A: Der Studienalltag ist hart und reich an Strapazen.
B: Das zu Semesterbeginn ausgehändigte Curriculum zur menschlichen Anatomie noch nicht ein Mal aufgeschlagen.
A: Sie befinden sich im dritten Semester.
B: Die Schonfrist ist abgelaufen.
A: Wenn es überhaupt jemals eine gab.
B: Alle drei stammen aus bürgerlichen Verhältnissen.
A: Eines der Kinder auf die Unversität zu schicken ist für die Familien mit erheblichen finanziellen Aufwänden…
(denkt)
Moment!
B: Was?
A: (zu B) Hast du das recherchiert?
B: Was denn?
A: Na, dass sie aus bürgerlichen Verhältnissen stammen?
B: Naja… also…
A: Ich hab davon nichts in den Akten gelesen. Bitte sag mir, dass du das recherchiert hast!
B: Also… Nicht direkt… ich meine… was heißt denn schon recher…
A: Um Himmels willen. Du hast da einfach Sachen hineinerfunden?
B: (stolz) Künstlerische Freiheit.
A: Sag dass das nicht wahr ist…
B: Das ist doch hier ein Theaterstück. Und die Aufgabe des Theaters ist es, durch Überspitzungen und plakativ vereinfachte Darstellungen Sachverhalte für ein möglichst breit gefächertes Publikum klar verständlich zu machen. Oder?
A: Schon, aber du kannst doch nichts erfinden?
B: Hab ich ja nicht. Künstlerische Freiheit.
A: Du machst mich fertig.
B: Danke.
A: Wie viele von deinen „Künstlerischen Freiheiten“ hast du denn noch in unser Stück eingebaut?
B: Naja… So neun oder zehn…
A: (stöhnt) Du Dilettant. Da sitzt ein Publikum voller Akademiker und wichtiger Leute, die bei dir ein historisch akkurates Stück in Auftrag geben, und was machst du? Lügst einfach das Blaue vom Himmel. Das darf doch echt nicht wahr sein. Was machen wir jetzt?
B: Na… weiter! Der Text ist geschrieben, das Stück ist gelernt, die gehen jetzt sicher nicht wieder nach Hause.
A: Ich werde hier niemanden anlügen.
B: Tja… Ähhm… Wir könnten uns ja ein Codewort ausmachen. Immer wenn wir zu einer Stelle kommen, wo ich aus dramaturgischen Gründen ein bisschen was dazu interpretiert habe, sage ich zB „Disziplinarverfahren“ und dann wissen alle, dass das nicht zu hundert Prozent ernst zu nehmen ist, was wir hier machen.
A: (stöht erneut) Na gut. Besser als nix. Aber „Disziplinarverfahren“ geht nicht.
B: Warum?
A: Das kommt doch so mindestens zwölf mal im Text vor.
B: Ach ja… Na dann… „Starbucks“
A: Gabs damals noch nicht.
B: „Plazenta“
A: Igitt…
B: „Integrationsstaatssekretär“
A: Zu lange.
B: „Bundeskanzler“
A: Zu kurz.
B: „Polardorsch“
A: „Polardorsch“?
B: „Polardorsch“
A: „Polardorsch“!
B: Gut
A: Das nehmen wir. Auch wenn ich deinen Gedankengang nicht mal im Ansatz versteh.
B: Das schaffe nicht mal ich.
A: Können wir jetzt weitermachen?
B: Klar. Bitte!
A: (zum Publikum) Eines der Kinder auf die Unversität zu schicken ist für die Familien mit erheblichen finanziellen Aufwänden verbunden.
B: Polardorsch Polardorsch
A: Wie?
B: Ein mal für das Bürgerliche Elternhaus und ein mal für den Dr. Tommasi am Anfang.
A: Aber den gabs doch?
B: Ja, aber wer weiß, ob der sich wirklich so aufgeregt hat…
A: Na gut… Zurück zum Text jetzt!
B: (erneut zum Publikum) Ein Studeinabbruch ist nicht denkbar.
A: Wir schreiben das Jahr ’61. Wer es aus der bürgerlichen Klasse zu Wohlstand bringen will, benötigt Beziehungen.
B: Beziehungen, wie sie nur im universitären Umfeld aufgebaut werden können.
A: Eine Burschenschaft, oder Studentenverbindung.
B: Porsche war Probekandidat der Burschenschaft Suevia. Hat diese aber vor sechs Monaten wegen persönlicher Unstimmigkeiten verlassen.
A: Schraffl ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Brixia. Seit einigen Monaten erduldt er das strikte Verbidnungsprozedere. Zuvor war er einige Wochen lang Fuchs in der CV-Verbindung Rheno-Danubia. Dort wurde er allerdings nicht aufgenommen. Gründe nicht dokumentiert.
B: Thoms ist…
A: Ja?
B: Ja der ist… Der war doch… ähhm…
A: Ach komm… Ernsthaft jetzt?
B: Also der war sicher auch in einer… Ich meine, die waren doch alle in einer… oder? Warum muss ich überhaupt über den Thoms sprechen?
A: Das fragst du mich? Du hast den Text geschrieben.
B: Ja schon. Ich dachte auch, der wär noch irgendwie wichtig.
A: Und das ist er nicht?
B: Naja… Jetzt wo ich darüber nachdenke… Der hat ja wirklich keine Bewandtnis oder? Der scheint ja auch nur ganz kurz auf oder?
A: Ja…
B: Aber man kann doch auch nicht sagen, dass sie nur zu zweit waren, wenn die zu dritt gesoffen haben.
A: Nein
B: Also, was sagen wir jetzt über den Thoms?
A: (genervt) Dass wir nix über ihn wissen, dass er für die Geschichte nicht wichtig ist, aber dass er halt dabei war. Von mir aus, dass er höchstwahrscheinlich ein erfolgreicher Arzt geworden ist, dass er google oder das Spaceshuttle mitentwickelt haben könnte, dass er friedlich und mit blütenweißem Leumund irgendwo in Caracas oder Palma seinen Ruhestand genießen könnte. Was weiß ich. In erster Linie sollten wir den Leuten aber sagen, dass alles was wir mit Sicherheit über ihn wissen ist, dass er sich in der Nacht vom 21. Auf den 22.11.1961 ganz ordentlich einen reingestellt hat.
B: (kleinlaut) … und dass er ein Fahrrad hatte.
A: Weiter jetzt!
B: Porsche hatte am 21.11. einen Lichtbildvortrag auf der Universität gehalten, für welchen er gelobt wurde.
A: Er beschloss, einige Freunde zum Feiern in ein Innsbrucker Gasthaus einzuladen.
B: Zur Sperrstunden bleiben neben Ihm noch Schraffl und Thoms übrig. Keine Ambitionen, den Abend zu beenden.
B: Die drei Studenten finden sich also in den späten Abendstunden in Porsches Wohnung zusammen, wo sie einen sogenannten „Scharfen Grog“ bereiten.
A: Ein stark alkoholhaltiges Heißgetränk, welches zum größten Teil aus Rum und Zucker besteht.
B: Optionale Zutaten sind Tee und oder Fruchtsäfte.
A: Optional? Eher minimal…
B: Über die exakte Zusammensetzung des Getränks, auf das später alle Schuld geschoben werden sollte, ist uns nichts bekannt.
A: Möglicherweise ist das auch besser so.
B: Übermütige Studierende könnten sonst aufgrund der damals bereits bekannten Eigenart des scharfen Grogs, der Unternehmungslust, noch heute zur Nachahmung animiert werden.
A: Was uns allerdings aus Polizeiakten bekannt ist, ist dass in Porsches Wohnung an diesem Abend etwa ein Dreiviertel Liter Rum vernichtet wurde.
B: Von Spülmaterial in Form von Flaschenbier ist ebenfalls auszugehen.
A: Natürlich.
B: Doch bevor wir den Abend nun weiter rekonstruieren, erlauben sie mir, dass ich Ihnen Frau Volksschuloberlehrerin Friederike Dibetto vorstelle!
III
(A verwandelt sich in Friederike Dibetto – Film 1 wird im Hintergrund abgespielt)
Dibetto: Hochgeschätzter Herr Bundespräsident!
Verzeihen sie mir, wenn ich mit einer Bitte an Sie herantrete. Gefallener Jugend zu helfen, sie auf den rechten Wege zu führen, um aus ihr wieder brauchbare Menschen zu machen, veranlasst mich zu diesem Schreiben.
Als ehemalige Lehrerin des heutigen Hochschülers Peter Porsche, dessen Name Ihnen ja nicht unbekannt ist, ersuche ich Sie, ihm zu ermöglichen, dass er sich endlich an der Universität Innsbruck einer Disziplinarverhandlung unterziehen kann. Er verbüßte für seine schändliche Tat eine 8monatige Kerkerstrafe und wartet nun seit 6 Monaten auf die Entscheidung, ob er sein Studium fortsetzen kann.
Als Sozialistin glaube ich, dass man dem sonst so anständigen und strebsamen Jungen doch helfen müsste, und zwar ehestens, denn das Sommersemester eilt mit Riesenschritten heran.
Herr Bundespräsident, bitte glauben Sie mir, …
B: Polardorsch!
Dibetto: (böser Blick zu B) …dass ich die Tat des Peter Porsche zutiefst verabscheue. Doch wenn sie die glitzernden blauen Augen des aufgeweckten und liebenswerten kleinen Jungen gesehen hätten, als den ich Peter in der Volksschule kennengelernt habe, würde es ihnen ebenso schwer fallen, in ihm das Monster zu sehen, als welches er gemeinhin dargestellt wird. Nein. Vielmehr kann ich mich nicht der Annahme erwehren, dass das Gute des Menschen Natur ist, er jedoch durch Versuchungen aller Art auf den Pfad der Unvernunft geleitet werden kann. Der Teufel steht hinter jeder Ecke, und der Weg in die Hölle ist gepflastert mit…
(steigt aus der Rolle)
IV
A: Ach komm… Das ist jetzt aber schon ganz schön dick aufgetragen.
B: Ich sagte ja, Polardorsch.
Aber die erste Hälfte war echt. Hier! (Hält den Brief der Lehrerin hoch und liest den Schluss vor) Mit ergebenster Hochachtung, Friederike Dibetto
A: Mit ergebenster Hochachtung?
B: Mit ergebenster Hochachtung!
A: Das hast du doch erfunden. Wer redet denn so?
B: Also… Ungefähr alle!
A: Ach was!
B: Das war 1961. Die Welt war damals noch nicht bereit für „mfg“, „Servus“ oder „i bims“. Ich habe mich hier akkurat an die Amtssprache von damals gehalten. Hier bitte. (zieht einige Akte aus dem Koffer) Damit du mir nicht wieder unterstellst ich würde Lügen!
(Liest vor) … „Mit besten Empfehlungen, Univ.-Prof. Dr. Dr. Sowieso“
„Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochachtung ersterbend, Univ.Prof. Dr. Dr. Schlagmichtot“
A: (hat sich einige Akten geschnappt – liest laut lachend vor) „…beehrt sich Ihnen zur Kenntnis zu bringen…“
„…Seine Spektabilität, Herrn Dekan der medizinischen Fakultät, Univ.-Prof. Dr….“ Ha ha!!!
Das gibt’s doch nicht. Das war doch nicht im Mittelalter. Ich meine… So lange ist das doch auch nicht her!
B: (affektiert) „…Für Ihre Bemühungen bitte ich Sie, im Voraus meinen herzlichsten Dank zu empfangen…“
A: „… Seine Magnifizenz, den Rektor der Universität Innsbruck…“
B: „… in untertänigster Dankbarkeit…“
„… erbittet euer gediegenes Wohlwollen, mein unerheblich Anliegen betreffend…“
„… in bescheidener Hoffnung, Ihnen meinen ergebnsten Dank übermitteln zu dürfen…“
„… in Ritterlicher…“
A: Polardorsch?
B: Ungefähr vor drei Sätzen…
A: (wieder zum Publikum) Nachdem sich Thoms verabschiedet hatte und mit seinem Fahrrad nach Hause gefahren war, steigt in Porsche und Schraffl der Tatendrang. Sie beschließen, dem jüdischen Friedhof einen kleinen Besuch abzustatten.
B: In einem Geräteschuppen finden sie eine Leiter. Von der Südseite her steigen sie über die Friedhofsmauer in den jüdischen Teil des Friedhofs Wilten.
A: Sie sehen sich um. Trinken. Rauchen.
B: Vom Grog beflügelt beginnen sie, Grabsteine umzuwerfen.
A: Der dabei entstandene Lärm veranlasst sie, kurz das Weite zu suchen und abzuwarten, ob sie gehört wurden.
B: Niemand kommt.
A: Sie steigen erneut in den Friedhof ein.
B: Werfen weitere Grabsteine um.
A: Am Ende werden es 48 gewesen sein. Zwei Drittel des jüdischen Friedhofs.
B: Die Tatsache dass es jüdische Grabsteine sind, wird gemeinsam mit dem Gedicht für die Schwere des Urteils Verantwortlich zeichnen.
A: Das Gedicht.
B: Porsches Gedicht.
A: Entstehungsdatum unbekannt.
B: Irgendwann nach Porsches Rauswurf aus der Verbindung Suevia.
V
(S)chraffl: Was schreibst?
(P)orsche: Nix!
S: Zeig her!
P: Verschwind!
S: Hast da die Anatomie-Arbeit?
P: Ja
S: Gibst mir sie wenn’d fertig bist?
P: Vergiss es.
S: Kameradenschwein!
P: Schnapsdrossel!
S: Der feine Herr warn amal auch nicht schlecht bedient gestern!
P: Der feine Herr hat sich aber nicht in den Abort erbrochen, wie ein gewisser Kommilitone.
S: Was machts…? Gehma wieder ins Wirtshaus heut?
P: Arbeit‘ die Klara wieder?
S: Das hast sie gestern selber g’fragt, du Hornochs.
P: Ja, was weiß ich. Und?
S: Um fünf hat’s aus. Dann trinkt’s mit uns.
P: Dann müssma.
S: Und die Anatomie?
P: Die werd ich im Wirtshaus studieren. Am lebenden Objekt.
S: Schwerenöter!
P: Geh! Ich frag es Mariandl, wer von uns der Schwerenöter ist. Oder die Hilde. Oder die Ida. Oder die von letzter Woche, mit dem kurzen Rock und dem ausgeprägten „Charakter“
S: Nix dabei, was ich bereu‘. Außer der Ida.
P: Warum grad die?
S: Judensau.
P: Was ist mit der Cordula?
S: Bis heut hab ich Kratzspuren.
P: Glücklicher! Die hätt‘ mich auch angschaut.
S: Aber traun‘ tust dich halt nix. Schisser. Aufreißer wirst keiner mehr…
P: Ich trau mich, dir den Arsch aufzureißen. Das reicht.
S: Und mit was?
P: Mit Recht! Elender Krüppel!
S: Was sagst, du Homo? Krüppel?
P: Schonmal in an Spiegel g’schaut? Wundert mich dass dich leben lassen ham, so wie du ausschaust.
S: Ich versteh dich ned, nimm mal grad den Schwanz vom Dekan aus dem Mund!
(beide lachen)
P: Also um fünf sagst?
S: Halb vier bei mir. Ich hab noch a bissl von dem Bier daheim. Das muss weg.
P: Alsdann. Wiederschaun, Mongo!
S: Auf bald, Homo! (nimmt im Gehen das Gedicht vom Tisch, liest flüchtig während Porsche versucht es ihm abzunehmen)
P: Was… Gib’s her du Schwein!
S: Hab’s mir doch gedacht.
P: Hergeben sollst es…
S: Ein Gedicht…
P: Ich hab’s noch nicht fertig…
S: Mir reicht’s als Beweis!
P: Wofür?
S: Dass du ein Warmer bist.
P: Halts Maul! Gibs her…
S: (affektiert) “Andre Seiten gibt es immer, ändern könnt ihr das ja nimmer.”
P: Das ist noch nicht zum lesen…
S: Jetzt reg dich ab. (Liest zu Ende) Ich mags.
P: Langweilig war mir…
S: Wenn du ‘s nächste Mal Langeweile hast, kannst meine Anatomie-Arbeit schreiben.
P: Du träumst…
S: Von dir, mein Süßer!
P: Verschwind jetzt… (nimmt ihm das Gedicht weg)
(S lacht; geht)
S: (im gehen) Im Übrigen: „hassen“ auf „vergasen“ ist ein schwacher Reim!
P: Ich hab’s noch nicht fertig…
(S ab; P setzt sich wieder)
VI
(R)ichter: Name?
P: Klaus Peter Porsche
R: Gebürtig?
P: 8. August 1941, Wels, Oberösterreich
R: Wohnhaft?
P: Mentlbergstraße 7, Innsbruck
R: Sie plädieren?
P: Schuldig.
B: (von außen) Polardorsch!
R: Ihnen wurde die Anklageschrift verlesen?
P: Ja.
R: Haben sie sich zu verteidigen?
(T)ommasi: Ja, euer Ehren!
R: Das Wort hat der Verteidiger des Angeklagten, Herr Dr. Tommasi.
T: Euer Ehren, wir plädieren auf erhebliche Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit. Mein Mandant war zur Tatzeit schwer alkoholisiert, also in keinem Falle im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte.
R: Reine Spekulation und nicht zu belegen.
T: Mit Verlaub, euer Ehren, die Angeklagten haben sich aus Angst, dass ihre Abdrücke erkannt werden könnten, ihrer Schuhe entledigt, und diese einige Meter vom Friedhof entfernt, schleißig im Wald vergraben. Da es sich bei den Angeklagten um ordentliche Studenten der Medizin handelt, die im Alltag mit Sicherheit nicht so leichtfertig handeln würden, ist eine Alkoholisierung nicht nur naheliegend, sondern quasi erwiesen.
R: Dies trifft rein auf den Angeklagten Schraffl zu.
T: Des Weiteren wurden BEIDE Angeklagten beim exzessiven Alkoholgenuss in einem Innsbrucker Wirtshaus beobachtet, als sie im Beisein von Kommilitonen bis spät abends einen erfolgreichen Lichtbildvortrag meines Mandanten feierten.
R: Fahren sie fort!
T: Unter Berücksichtigung der Alkoholisierung kann es sich also nur um einen Lausbubenstreich handeln, wie er unter Studenten nur zu oft vorkommt.
R: Für einen Lausbubenstreich ist der entstandene Sachschaden deutlich zu hoch.
T: Meine Mandanten sind dazu bereit, in vollem Umfang für den entstandenen Schaden aufzukommen.
R: Davon gehe ich aus. Lassen sie uns über die ideologischen Aspekte der Tat sprechen.
T: Diese sind aufgrund der Alkoholisierung zu vernachlässigen.
R: Was zu vernachlässigen ist, entscheidet das Gericht. Herr Porsche, stammt das Gedicht, welches im Zuge der Hausdurchsuchung in Ihrer Wohnung gefunden wurde, und als Beweisstück E geführt wird, von Ihrer Hand?
P: Also…
T: Euer Ehren, das Gedicht wurde zum Teil von meinem Mandanten verfasst.
R: Zum Teil?
T: Aus der Hand meines Mandanten stammen die Zeilen bis inklusive „und Freund zu Feinden!“
R: Wer soll also den Rest verfasst haben?
T: Das ist unbekannt.
R: Herr Dr. Tommasi. Es geht hier um ein elementares Beweisstück, das in der WOHNUNG Ihres Mandanten gefunden wurde. Sollte sich nicht durch Aussagen oder Beweise belegen lassen, dass einzig der erste Teil des Gedichts von Ihrem Mandanten Klaus Peter Porsche stammt, wird ihm der gesamte Text zu Lasten gelegt.
T: Euer Ehren, in der Studentenwohnung meines Mandanten ist oft ein reger Zugang von Kommilitonen. Meist finden sich Mitstudenten zum Lernen, und ja, auch zum geselligen Beisammensein in der Mentlbergstraße 7 ein. Das Gedicht wurde in einer unabgeschlossenen Tasche gefunden, zu welcher jeder Gast Zugang finden konnte.
R: Sie gehen also ernsthaft davon aus, dass ein besoffener Studienkollege Porsches, dessen Gedicht für ihn fertig geschrieben hat`?
T: Euer Ehren. Nach dem von meinem Mandanten verfassten Teil ändert sich das Versmaß. Auch die Handschrift ist eine Andere.
R: Die Spezialisten kamen zu keinem eindeutigen Urteil. Es könnte sich auch um die Handschrift des Angeklagten in einer anderen Tagesverfassung handeln.
T: Mit Verlaub, euer Ehren, wenn die Spezialisten zu keinem eindeutigen Urteil kommen, kann das Beweisstück nicht berücksichtigt werden.
R: Selbstverständlich kann es das.
T/B: Polardorsch
VII
A: Hast du das nicht aus den Gerichtsakten?
B: Hab ich nicht bekommen…
A: Sondern?
B: Nur das Urteil.
A: Welches?
B: Beide.
A: Soweit sind wir noch nicht.
B: Das eine kommt jetzt gleich.
A: (zum Publikum) Nachdem zwei Drittel des Friedhofs verwüstet sind, werden unsere zwei fragwürdigen Protagonisten erneut durstig.
B: Schraffl bekommt es mit der Angst zu tun, dass seine Fußabdrücke von der Polizei erkannt werden.
A: Also vergräbt er seine Schuhe einige Meter entfernt im Wald.
B: Ein Geniestreich.
A: Die Polizei sollte sie natürlich finden und als belastendes Beweismaterial gegen Schraffl ins Feld führen.
B: Beim Graben kommt ihm der Gedanke.
A: Die verhasste Verbindung Rheno-Danubia, aus welcher er mit dem Kalkül „unbrauchbar“ ausgeschieden ist, hat stets mehrere Bierkisten vorrätig.
B: Das Kalkül „unbrauchbar“ wird von Verbindungen nur höchst selten ausgesprochen. Der Aspirant erhält einen Eintrag im entsprechenden Dachverband.
A: Somit wird es ihm erheblich erschwert, in den meisten Fällen sogar unmöglich gemacht, einer anderen Verbindung desselben Dachverbands beizutreten.
B: Es ist nicht bekannt, was sich Schraffl in der Rheno-Danubia geleistet hat, um dieses Kalkül zu verdienen.
A: Es ist nicht bekannt, ob die deutschnationale Verbindung Brixia, die unter einem anderen Dachverband fungiert, von dem Kalkül wusste, als sie Schraffl kurze Zeit nach dem Ausschluss aus der Rheno-Danubia probeweise aufnimmt.
B: In einem Presse-Statement schreiben Vertreter der Brixia 1961, dass Schraffl ein Mitglied im „äußeren Verband“ gewesen sei, und bereits als „Probekandidat“ ausschied nachdem sich herausstellte, dass er bei der Verbindung „nicht fand, was er suchte.“
A: Auch die Suevia, Porsches ehemalige Verbindung, distanziert sich von den Vorfällen.
B: Porsche wäre im Mai des Jahres nach sechswöchiger Probezeit ausgeschieden, weil er „mit den geistigen und politischen Zielsetzungen der Verbindung nicht übereinstimmte“.
A: Der Bezug von Porsche und Schraffl zu den Innsbrucker Verbindungen ist also bisher ein vom Scheitern geprägter.
B: Und jetzt ist es Zeit für Vergeltung.
A: Schraffls Hass auf die Rheno-Danubia ist groß genug, dass er mit seinem Freund Porsche spätnachts in das Vereinslokal einsteigt.
B: Im Hinterhof steht ein Baugerüst.
A: Ein Fenster ist offen.
B: Sie buxieren zwei Kisten Bier über das Baugerüst nach außen.
A: Danach die Verbindungsfahne.
B: Mit der Absicht, sie zu verbrennen, nehmen sie sie mit in Porsches Wohnung.
A: Zuvor trinken sie im Hinterhof noch einige Flaschen Bier – den Rest der ersten Kiste schütten sie weg.
B: Die Zweite Kiste kommt mit.
A: Sie wird halb leergetrunken, gemeinsam mit der Fahne, wenige Tage später von der Polizei in Porsches Wohnung sichergestellt.
B: Das Verbrennen der Fahne hätte zu viel Aufsehen erregt. Also lassen sie sie bis auf weiteres in der Wohnung.
A: Am 4. Dezember wird aufgrund eines schweren Tatverdachts wegen Einstiegdiebstahls eine Hausdurchsuchung bei Porsche durchgeführt.
B: Die Beamten finden die halb getrunkene Bierkiste. Überführen Porsche und Schraffl, die voll geständig sind, der Tat.
A: Sie sprechen von einem dummen Studentenstreich. Zur Friedhofsschändung bekennen sie sich nicht.
B: Eine weitere Hausdurchsuchung fördert die Verbindungsflagge zu Tage.
A: Außerdem weitere Indizien, die den dringenden Verdacht der Beamten untermauern, dass es sich bei den Einbrechern und den Friedhofsschändern um ein und dieselben handle.
B: Am 17. Dezember können sie endgültig überführt werden. Auf freiem Fuße werden sie angezeigt und der Staatsanwaltschaft Innsbruck übergeben.
A: Die Verhandlung am Innsbrucker Landesgericht findet am 27.3.1962 statt.
B: Die Angeklagten sind voll geständig – die Beweislage erdrückend.
A: Sie werden rechtskräftig zu je acht Monaten schwerem Kerker verurteilt.
B: Verschärft durch fünf harte Lager.
A: (zu B) Was heißt das eigentlich?
B: Die mussten fünf Nächte lang auf einem Holzbrett schlafen.
A: Das klingt so nach Mittelalter. Polardorsch?
B: Nö
A: Krass…
B: Jup.
A: (zum Publikum) Doch nicht nur die Justiz und die Presse haben ein Interesse an dem Fall.
B: Die Österreichische Hochschülerschaft hat die Geschehnisse natürlich mitverfolgt.
A: Während die beiden Täter ihre Haft absitzen, wird an der Universität ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
B: Dieses soll, nach dem gerichtlichen Urteil, nun auch ein Urteil über den weiteren akademischen Werdegang der beiden fällen.
A: Als Datum für die Disziplinarverhandlung wird der 20.6. festgelegt.
B: Porsche und Schraffl befinden sich zu diesem Zeitpunkt beide in Haft.
A: Die Überstellungskosten für den Häftling Porsche alleine betragen ATS 470,-
B: Das teilt das kreisgerichtliche Gefangenenhaus Ried im Innkreis per Schrieb mit.
A: Schraffl weigert sich, als Gefangener vorgeführt zu werden.
B: Der Entlassungstermin ist der 17.8.
A: Der Verhandlungstermin wird verschoben.
B: 470,- Schillinge. Das ist die Universität nicht zu zahlen bereit. Nicht für einen verurteilten Neo-Nazi.
A: Und mit einem späteren Verhandlungstermin soll auch Schraffl die Argumentation entzogen werden.
B: Ein Herbst-Termin wird anvisiert.
A: Es wird der 12.2.1963
B: Mehr als ein halbes Jahr nach der Entlassung aus dem Kerker.
A: Bis zum Urteilsspruch wird den beiden Beschuldigten der Zugang zur Universität verwährt.
B: Drei Semester haben sie bereits versäumt.
VIII
S: Und, was sagst?
P: Dass ich b’soffen war. Das solltest du auch.
S: Na sicher. Warn wir ja auch.
P: Eben.
S: Und du glaubst, das erspart uns den Kerker?
P: Der Tommasi meint, es ist unser bester Versuch.
S: Der Tommasi ist ein Bürokrat. So wie die ganze Juristenbagage morgen.
P: Hmm…
S: Is doch wahr…
P: Und wir werden auch an Bürokraten brauchen, wenn wir da mit nix als einem blauen Aug aussteigen wollen.
S: Vielleicht.
P: Mein Papa meint…
S: Geh. Was kommt jetzt…
P: …meint auch, dass am besten ist wenn man Reue zeigt.
S: Und meiner, dass ich hunderttausend Vater Unser beten soll. So ein Schmarrn.
P: Wir ham halt an Blödsinn gmacht.
S: DU hast an Blödsinn gmacht. Mit deim elenden Gedicht. Das wird uns es Gnack brechen.
P: Das hätt doch keiner lesen sollen.
S: Verbrennen hättst es sollen. Idiot.
P: Erst fandst es noch gut.
S: Es reicht aber im Kopf. Auf Papier bricht’s uns jetzt es Gnack. Und noch dazu als Gedicht. Ein schwuler Nazi. Wo solls des denn geben.
P: Halt’s Maul.
S: Du haltst besser morgen dein Maul. Und lass den Bürokraten reden.
P: Der Tomassi hat g’sagt, ich soll vor der Verhandlung besser gar nicht mehr mit dir reden.
S: Ist mir eh lieber…
IX
(Film 2)
X
(über Standbild aus Film 2)
Dibetto: Hochgeschätzter Herr Bundespräsident!
B: Polardorsch!
Dibetto: Bitte sehen sie mir meine Hartnäckigkeit nach, doch das Schicksal des armen Peter Porsche, dessen Fall Ihnen ja nicht unbekannt ist, lässt mich nicht ruhig schlafen.
Der Bub sieht sich, nachdem er reuig seine Haftstrafe abgesessen hat, nun einer drohenden Disziplinarstrafe gegenüber. Dies würde ohne Zweifel des jungen Mannes gesamte Berufslaufbahn zerstören, ja gar nicht erst zulassen.
Geschätzter Herr Bundespräsident, bitte glauben sie nicht, dass ich die Taten des Peter Porsche auch nur im entferntesten gutheiße oder rechtfertige, doch wenn sie, so wie ich, einmal jung waren und ihrer Jugend genossen haben, so ist auch Ihnen der Übermut, der junge Menschen im Rausch oft überkommt nicht fremd. Und viel braucht es nicht. Ein paar schlechte Einflüsse, ein altes Plakat, ein der Zensur nicht zum Opfer gefallenes Gedicht oder ein völkisches Heimatlied. Dumme Ideen sind schneller geboren als die klugen.
In meiner Aufgabe, den vom rechten Wege abgekommenen zu helfen, sehe ich mich gezwungen, Sie, Herr Bundespräsident untertänigst um Ihre Unterstützung zu bitten.
Wenden sie sich mit einem wohlwollenden Schreiben an den Innsbrucker Disziplinarsenat. Helfen sie einem reuigen jungen Mann, ja gar noch fast einem Kind, einen dummen Fehler in voller Reue wiedergutzumachen.
In ergebenster Hochachtung,
Friederike Dibetto.
XI
Dr. (E)rmacora: Herr Aigner, auf ein Wort?
(Ai)gner: Herr Dr. Wie kann ich helfen?
E: Indem sie ihrer reizenden Frau meine ergebensten Grüße ausrichten.
Ai: Herr Dr. sind zu gütig.
E: Keineswegs. Wie geht`s den Kindern?
Ai: Die Grippe. Sonst gut.
E: Beste Genesung!
Ai: Auf dem Weg der Besserung!
E: Ist auch kein Wunder, bei dem Wetter.
Ai: Lange kein so kalter Winter mehr.
E: So viel Schnee.
Ai: Fahren sie Schi?
E: Im Urlaub.
Ai: Wie schön.
E: Und das neue Büro?
Ai: Blick auf die Nordkette.
E: Erfreulich!
Ai: Durchaus. Daheim ist‘s doch am schönsten.
E: Ja.
(Pause)
Ai: Ihr Artikel!
E: Ach das…
Ai: Nein nein…
E: Wirklich?
Ai: Ja!
E: Vielen Dank.
(Paues)
Ai: Herr Dr.
E: Herr Aigner
Ai: Beste Empfehlungen.
E: Ganz meinerseits!
Ai: Auf wiedersehn. (geht)
E: Ach, Herr Aigner!
Ai: Bitte, Herr Dr.?
E: Ich vernahm, sie wären Mitglied im Diziplinarsenat Porsche Schraffl?
Ai: Exakt. Vertreter der Hochschülerschaft. Herr Dr. fungieren selbstredend als Disziplinaranwalt?
E: Selbstredend. Ach… Es erübrigt sich zwar, lieber Herr Aigner, da ich Ihnen die Offensichtlichkeit des Falles gar nicht nahelegen muss…
Ai: Nun, das Gerichtsurteil wurde gesprochen.
E: Nein, nein. Ich spreche von der Exemplarität des spezifischen Falles.
Ai: Helfen sie mir auf die Sprünge?
E: Wir haben es hier mit Gedankengut zu tun, das nicht einfach nur zurückgebliebenen Kriegsnachtrauerern zuzuschreiben ist. Der „Neonazismus“, wie das Phänomen seit einigen Jahren vermehrt genannt wird, muss als eigenständige Strömung angesehen werden.
Ai: Verstehe.
E: Dementsprechend liegt es an uns, das erstmalige Aufbäumen solcher Bewegungen in Innsbruck mit aller nötigen Härte zu unterdrücken. Sie stimmen mir zu, Herr Aigner?
Ai: Mir war nichts von Strömungen bekannt…
E: Ich möchte sogar noch weiter gehen, und von ganzen Netzwerken sprechen!
Ai: Sie ereifern sich!
E: Keineswegs. Die Polizeiakten sprechen eine deutliche Sprache.
Ai: Mit Verlaub, Herr Dr. ich intendiere, mir ein Bild des Geschehenen zu machen, welches die Einvernahme der Beschuldigten durch den Disziplinarsenat beinhaltet.
E: Lassen sie sich nicht von gekünstelter Reue blenden, Herr Aigner. Der Fall ist bis zum Bundespräsidentenamt bekannt.
Ai: Wir werden sehen. Herr Dr., ich danke für das Gespräch.
E: Herr Aigner, bedenken sie…
Ai: Meine Empfehlung, Herr Dr.
E: Beste Genesung den Kindern.
XII
P:
Wer „fraternisiert“
wird hier liquidiert.
Doch:
Wer mit Dimittierten spricht,
schadet ja dem Bunde nicht:
Denn:
Andre Seiten gibt es immer,
ändern könnt Ihr das ja nimmer,
Ihr wollt diese gar nicht kennen,
müsst Euch daher blind verrennen.
Sieht Feinde in Freunden
und Freunde in Feinden!
Sprechen muss man aber möglichst mit beiden!
Doch: „Selig, die unter Verfolgungswahn leiden“
Es zeigt die Geschichte, zuletzt bei den Juden,
daß immer, wenn Mißgunst und Haß sich entluden,
Die Wiedergutmachung bald alles verdreht.
Drum macht uns nicht unnütz zu Feinden und seht:
der einzige Feind, den es wert ist zu hassen,
und ihn unter Umständen auch zu vergasen
ist doch nur der ewige Jude, der heute
wie früher die dummen, weil ehrlichen Leute
bestiehlt und uns allen die Frischluft wegsaugt,
nicht ahnend, daß er nur zum Einheizen taugt.
Die Zeit wird bald kommen, darauf ist Verlaß,
da man ihn zum letzten Mal setzt unter Gas.
Dann werden auch Ihr, trotz Aktiven-Allüren,
das Feuer von Auschwitz behüten und schüren.
Wir werden, wenn auch ohne Mütze und Band,
Die Gasöfen füllen bis ganz an den Rand.
So werdet Ihr einstans bestimmt noch erkennen:
Man kann sie auch ohne Couleur „Freunde“ nennen.
Nach diesem prophetisch-versöhnlichen Schluß
erheb‘ ich, wie üblich, die Rechte zum Gruß
und verbleibe, obwohl ich das Band nicht mehr habe,
trotzdem Euer Peter, ehemals Schwabe.
XIII
(vom Band)
Der Disziplinarsenat für Studierende an der Universität Innsbruck, bestehend aus dem Vorsitzenden Herrn Univ.-Prof. DDr. MERZBACHER sowie den Beisitzern Herrn Univ.-Prof. Dr. Scheminsky und Herrn cand.med. Alfred Aigner von der österreichischen Hochschülerschaft, erachtet die beiden Beschuldigten, die Medizinstudenten Kuno SCHRAFFL, geb. am 9.8.1942 in Bozen und Klaus Peter PORSCHE, geb. am 8.8.1941 in Wels, Oberösterreich, einer schweren akademischen Pflichtverletzung für schuldig. Der Disziplinarsenat belegt die Beschuldigten unter Anrechnung der bekundeten Reue und der verbüßten Kerkerstrafe mit einer Disziplinarstrafe und zwar gem. § 7, Zi 1, lit. E der Hochschüler-Disziplinarordnung mit dem Ausschluss von der Hochschule, d.h. mit dem Ausschluss von der Universität Innsbruck.
Entscheidungsgründe:
Selbst unter Berücksichtigung einer hochgradigen Alkoholisierung der beiden Beschuldigten, erweist sich ihre Handlung als eine sehr schwere Straftat. Sie wurden daher wegen Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums nach § 85 lit a StG, des Vergehens nach § 306 StG und des Verbrechens des Diebstahles nach den §§ 171, 174 Id, IIa StG zu je 8 Monaten schweren Kerkers, verschärft durch fünf harte Lager, rechtskräftig verurteilt. Dabei handelt es sich nicht nur um Auswüchse von Zuständen der Alkohol-Intoleranz, sondern um Straftaten, für die die Beschuldigten eine wenn auch graduell reduzierte Verantwortung trifft. Die Schändung und Verunehrung von Ruhestätten Verstorbener bleibt immer ein jeden billig und gerecht denkenden Menschen mit Abscheu und Scham erfüllender Gewaltakt.
Als Studierende der Universität Innsbruck haben sich die beiden Beschuldigten daher einer sehr schweren akademischen Pflichtverletzung schuldig gemacht, da sie ihrer Alma Mater in der breiten Öffentlichkeit schwersten Schaden zugefügt haben, dessen Beseitigung ihnen kaum möglich sein dürfte. Die Beschuldigten haben sich schwer gegen das Standesethos des Akademikers versündigt. Es erscheint insofern nur folgerichtig, wenn die beiden Beschuldigten für die Universität Innsbruck als Studierende und Anwärter akademischer Grade für immer als unwürdig erachtet werden.
Der Disziplinarsenat konnte sich andererseits nicht der aufrichtig bekundeten Reue der beiden Beschuldigten und den Argumenten ihrer Verteidigung ganz verschließen, daß den beiden Beschuldigten für die Begehung ihrer Straftaten nur zum Teil ein Schädigungswille innegewohnt hat. Außerdem müsse die schwere Erkrankung Porsches mildernd berücksichtigt werden. Die Tat selbst hat innerhalb der Hochschülerschaft absolute Verurteilung erfahren. Aber den Beschuldigten sollte wenigstens die Möglichkeit geboten werden, ihre Läuterung durch ihre künftige tadelfreie Führung zu bekunden und sich durch eine von der verwerflichen Handlung distanzierende Gesinnung zu bewähren.
Zudem dürfte die erlittene Kerkerstrafe ihrerseits dazu beigetragen haben, den Beschuldigten die Verwerflichkeit ihrer Handlung vor Augen zu halten. Mit der Verhängung der zweitschärfsten Disziplinarstrafe in Abweichung von dem Antrag des Disziplinaranwaltes auf Ausschluss von sämtlichen österreichischen Hochschulen soll den beiden reuigen Beschuldigten Gelegenheit zur Besserung und Wiedergutmachung der von ihnen angerichteten Schäden geboten werden. Ihre künftige Führung wird beweisen, inwieweit sie die ihnen gebotene Gelegenheit zur Wiederherstellung eines einwandfreien Rufes und zur Erlangung eines wirklichen Akademikertums humanistischer Prägung zu nützen verstehen.
XIV
S: Ihr Feiglinge!
P: Nicht…
S: Führt die Sache wenigstens zu Ende!
P: Schhh…
S: Ihr wollt uns loswerden. Na gut. Bitteschön. Aber seid so gut und erspart uns diesen entarteten Quatsch mit der Leuterung. Wir sind nicht krank. Auch nicht verwirrt. Wir denken vermutlich klarer als jeder einzelnen von euch Kalkköpfen.
P: Genug jetzt.
S: Was ist mit dir, Peterlein? Speiübel wird mir, wenn ich dich anseh. Besoffen am Biertisch Parolen brüllen. Im stillen Kämmerlein Gedichte schreiben. Und wenns drauf ankommt, Farbe zu bekennen, hälst du dein Verrätermaul.
P: Bitte…
S: Was hättet ihr getan, wenn ein Kommunist Kriegsdenkmäler auseinandergenommen hätte? Schmeißt ihr den auch von der Universität? Wie messt ihr die Härte eines Vergehens? Und wer bekommt statt der vollen Wucht der Keule die wohlwollende „Leuterung“ zu spüren? Nur die besonders bösen Jungs? Ich Scheiß auf euer Wohlwollen!
Gut… Handelt nach eurem eigenen Kalkül. Aber schreibt euch dann, um Gottes willen nicht Ideologiebefreitheit und Objektivität auf die Banner. Ihr verstauben Sesselfurzer habt ja keine Ahnung was es heißt zu leben. Zu kämpfen. Frei zu sein. Frei wie die Gedanken, die ihr nicht verurteilen und mit euren pädagogischen Beschlüssen malträtieren könnt. Frei wie es ein jeder Mann von Geburt an sein muss.
Aber was wisst ihr schon von Freiheit. Mit euren Staatspensionen und Forschungsstipendien. Mit euren Pelzmantelweibern und Luxuswagen. Dass EUCH der Jud nicht im Genack sitzt, wundert mich nicht.
Ich erkenne das Urteil des Disziplinarsenats nicht an. Ich ersuche um die Höchststrafe. Schmeißt mich in den Gasofen. Und das Peterlein gleich dazu. Der kann auch nur grad so viel Reue zeigen, wie er weit brunzen kann…
Bah! Wie feig! Wie unglaublich feig!
Der Krieg, ihr Versager, ist noch nicht vorbei.
Und die Gedanken, die wahren, die bleiben frei!
XV
(Film 3)