Balkonzert
Tag Ixypsilon. Die Gitarre blickt mich mitleidig an, als wisse sie über meinen Plan Bescheid, und bäte mich, doch nochmal darüber nachzudenken. Tatsächlich höre ich ein wenig verstimmtes Wimmern aus ihrer Ecke. Das Kratzen an einer Saite kurz bevor sie reißt.
Es tut nichts. Was begonnen wurde muss zu Ende geführt werden. Also packe ich ihren unwilligen Korpus und zerre ihn auf den Balkon hinaus. Kalt und steif, wie in Schockstarre, lege ich sie um die Schulter. Ich stecke ihr das Kabel in die Buchse und fingere den Kippschalter am Verteiler. Rote LEDs leuchten auf an der Verstärkerwand, wie feurige Augen in der Finsternis.
Ein letzter Moment der Stille – ein letzter Hoffnungsschimmer, es möge nicht passieren…
Dann brettere ich Ihr den E-Dur Akkord mit aller Gewalt ins Holz. Die Wand aus Lautsprechern heult auf, dass der Wohnblock bebt. Die Augen Flackern. Im Umkreis von fünfzig Metern zerbersten Scheiben – im Umkreis von einigen hundert Metern sitzt jeder Mensch aufrecht im Bett und empfängt ungewollt mein Voodoo Child. Während des Intros geht die Sonne auf – kurz vor Schluss wird die Haustüre von einem Rammbock gesprengt. Sechs Spezialeinsatzkräfte stürmen den Balkon, erschießen die Verstärker, reißen mir die Gitarre aus der Hand und drücken mich auf die nachschwingenden Betonplatten.
Eine Woche zuvor:
Es wird über Quarantäne gesprochen. Wo man hinhört ploppt dieses Wort auf und erzeugt gelegentlich Brechreiz, minimal Niesreflex.
Die KünstlerInnen sind sich sicher, dass sie von allen am schlechtesten behandelt werden, also machen sie sich auf zum großen Protestmarsch, den zunehmend ins Digitale ausufernden, von Regierungsseite gebilligten Möglichkeiten entsprechend. Ein jeder postet und produziert jetzt. Wer hätte gedacht, dass das Geheimnis hinter der künstlerischen Produktivität schlicht in einem Gefühl der Benachteiligung begründet liegt?
Ich schau mir die Sache eine Zeit lang an, bis mir einfällt, dass ich ja auch Künstler bin. In einer ersten Kurzschlussreaktion, greife ich erschrocken zur Gitarre. Die Wetterlage lädt zum freiluftigen Musizieren ein, und selbst der WiFi-Gott schenkt mir makellosen Empfang, also beginne ich, auf dem Balkon ein Konzert zu geben. Das Multifunktionstelefon überträgt Bild- und Tonsignal sogar in Echtzeit auf die soziale Medienplattform meiner Wahl, und piepst von Zeit zu Zeit zufrieden, da einige Menschen zusehen. Ohne viel Vorbereitung schwinge ich mich von Song zu Song, stottere zwischendurch einige erklärende Worte zu dem, sich gleichermaßen aus gefühlvollen Covers und Eigenkompostitionen zusammensetzenden Sujet, und trinke Kaffee. Wohlwollend nicken mir NachbarInnen zu, und bei einem von mir neu interpretierten Latin-Klassiker klatschen sogar einige in der Balkoncommunity verstreute Hände im Takt.
Ich beginne mit der vorletzten Nummer. Eine meiner schwungvolleren Kreationen, die nach der vorhergegangenen Schmusepop-Ballade das große Finale einleiten soll, als ich ein undefinierbares Wummern vernehme. Um dessen Ursprung auszumachen fließt etwas Konzentration aus meiner Darbietung. Ich verspiele mich. Rette schnell. Gottseidank bin ich kein Profi, sonst wärs aufgefallen. Während Strophe zwei mischen sich vereinzelte quietschende Hochtöne zu dem Wummern, welches ich mittlerweile als Baseline eines elektronischen Musikstückes zu identifizieren imstande war. Der nächste Fehler ist gravierend. Ich unterbreche. Entschuldige mich. Steige direkt in den letzten Refrain ein, wo ich mich wohlfühle. Das Lied ist zu Ende, und statt Applaus gibt es Psytrance. Nicht die gute Art von elektronischer Musik. Hauptsächlich Lärm.
Das Set wird vorzeitig beendet, die schwindenden ZuseherInnen um Einsicht gebeten.
Selbstverständlich habe ich nicht die alleinige Beschallungsbewilligung für den Hinterhof und die angrenzenden Balkone. Und mit der Milde, die man gerne AmateurkünsterInnen entgegenbringt, räume ich das Balkonfeld – um mein großes Finale gebracht.
Was solls… Es kann nicht immer alles nach Plan verlaufen… Außerdem wäre das Fina…
…
Der Lärm verstummt.
Das muss ein Zufall sein. Niemand wäre so herzlos. Nicht einmal Psytrance-Hörer.
Erneut gehe ich ins Freie – neugierig, ob sich auf einem der Balkone verdächtige Machenschaften ausmachen, ja, sich etwa gar ein Verantwortlicher der schlecht gewählten Hinterhofbeschallung finden lässt. Nichts außer Vogelzwitschern und dem Klappern von Besteck bei der im freien dinierenden Großfamilie, zwei Häuser weiter.
Hier hätte ich es belassen sollen.
Erneut nehme ich, einer vagen Vermutung folgend, die Gitarre in die Hand, und singe, diesmal spezifischer in Richtung des verstummten Gewummers und ohne Beisein der digitalen Zuseherschaft, Mr. Tambourine Man aus den Tiefen meiner Eingeweide. Sicherlich nicht die originellste Interpretation, doch an Inbrunst kaum zu übertreffen. Kurz nach Beginn der ersten Strophe ertönt das dumpfe Hämmern wieder. Neuer Beat, selbe Lautstärke.
Ich breche ab – er kurz darauf.
Intuitiv gehe ich von einem Mann aus. Mitte dreißig. Alleinstehend. Verwaschenes T-Shirt. Er lebt in einer vom Tageslicht abgeschirmten Höhle voller LED-beleuchteter Wasserpfeifen und ausgestopfter Tiere.
Ein Wütchen beginnt sich in den eben noch gesangsbedingt beanspruchten Eingeweiden einzunisten. Ich schließe die Balkontüre hinter mir.
Während ich die Kaffeemaschine gebannt bei ihrem Tagwerk beobachte, schwöre ich mir insgeheim bittere Rache.
Es graut der nächste Tag – ein sonniger Montwoch- und ihm gleich, tut es die Vergeltung. Mittels eines Feldstechers und einer erneuten akustischen Provokation, ließ sich einer der ostseitigen Balkone eindeutig als Lärmquelle identifizieren (Die zum Bass pulsierenden Fransenvorhänge müssen als unausweichliches Indiz gesehen werden). Grünes Licht für die erste Angriffswelle. Ich tätige den Anruf, und das am Vortag instruierte Barbershop-Quartett setzt sich in Gang. Es handelt sich um Spezialisten. Die Besten ihres Faches. Eine Abtrünnige Splittergruppe des Leondinger Kirchenchors, die sich auf unverstärkte mehrstimmige Nahkampfbeschallung spezialisiert hat. Ideal für den akustischen Guerillakrieg.
Ein weißer Ford Transit hält auf dem Parkplatz. L – AUT – 336.
In voller Kampfmontur steht das vierköpfige Sondereinsatzkommando vor meiner Türe und wir gleichen nochmals die Einsatzbefehle ab. Vordringen in Feindgebiet. Kampfaufstellung idealerweise im Wohnzimmer – notfalls in der Garderobe einnehmen. Beschallung in voller Lautstärke – mindestens für die Dauer von zwei Liedern. Finaler Luftschlag durch das Werfen von Rosenblättern. Rückzug. Strengste Geheimhaltung des Auftraggebers.
Ich gebe den Marschbefehl und ziehe mich zufrieden unter die Dusche zurück.
Kurz darauf: Ein schüchternes Klopfen an der Türe. Die Zahnbürste noch im Mund öffne ich. Der ranghöchste des Quartetts, der Bariton, steht vor meiner Türe, den Hut in einer Hand, die andere im zerzausten Haar, kreidebleich das Antlitz, einen Lackschuh verloren und eine Blutspur aus dem linken Ohr.
„Es… es tut mir leid…“ haucht er, ohne mir dabei in die Augen zu sehen. Ich erstarre. Blicke an ihm vorbei auf den Parkplatz. Die zwei Tenöre lehnen atemlos am Wagen während sich der Bass in ein nahegelegenes Gebüsch übergibt. „Der Auftrag konnte nicht ausgeführt werden. Wir konnten noch nicht einmal in die Garderobe vordringen. Nachdem der Zutritt verwehrt wurde begannen wir mit gezielter Beschallung der Wohnungstüre, bis…“ Er bricht ab. Ich wage nicht zu fragen „Bis… bis…“ stottert er. „Bis wir etwas von drinnen hörten. Das unbestimmbare Pochen einer synthetischen Baseline. Dann… Dann Gesang… He…“ er schluckt. Holt tief Luft und blickt noch tiefer in meine Fußmatte. „Helene Fischer“.
Atemlos entfernt er sich in Richtung des traurigen Grüppchens. Ohne ein Wort gesagt zu haben, schließe ich die Türe. Der Wagen rollt über den trostlos gewordenen Parkplatz. Ich möchte heulen. Wer oder was sich auch immer dort mitten in der Ostfront eingenistet hat, kennt weder Gnade noch Scham. Der Einsatz synthetischen Schlagers in akustischen Konfliktsituationen wird gemeinhin kontrovers diskutiert und nicht wenige vertreten die Meinung, dass es sich hierbei um ein Kriegsverbrechen handelt Auf jeden Fall eine Ehrenlosigkeit ohne Vergleich und ein perfider Anschlag auf die Trommelfelle der Einsatzkräfte. Verstört blicke ich zum Balkon des Schreckens hinüber. Es scheint, als würden die Fransen des Vorhanges zu einem hämischen Lachen pulsieren.
Ich ziehe mich zurück. Reüssiere.
Zwei Tage der stillen Einkehr.
Meditiere.
Versuche das Erlebte zu verarbeiten.
Eine erneute Kontaktaufnahme mit dem Quartett bleibt erfolglos. Sie wollen sich nicht länger belasten. Verzichten gar auf ihren Sold. Monate später werde ich in Erfahrung bringen, dass der Bass erneut sein Heil im Kirchenchor suchte, während die anderen nie wieder auch nur eine Note sangen.
Zwei Tage. Dann kommt das Paket.
Der Expressversand des online-Arsenals hat Wort gehalten und innerhalb kurzer Zeit nehme ich, gegen Entrichtung einer exorbitanten Bearbeitungsgebühr, andächtig zwei mittelgroße Sendungen vom desinteressierten Kurier entgegen. „CAUTION“ steht groß auf der Oberseite des einen Pakets, also platziere ich die Errungenschaften vorsichtig auf dem Teppich. Mit einem Messer öffne ich die erste Box. Der Duft von Eingeschweißtem strömt mir entgegen. Zum aufgeregten Blubbern der Kaffeemaschine mache ich mich ans Werk. Stecke, löte, lese, schraube, hämmere, klebe. Als das Werk vollbracht ist, ist es bereits dunkel. Erschöpft beseitige ich die Spuren und lege mich ins Feldbett. Blick auf den Küchentisch. Da steht sie im Halbdunkel, wie eine bedrohliche Statue. Das Mondlicht umrahmt ihre scharfen Konturen und filigranen Auswüchse. Eine Mischung aus Stolz und Scham überkommt mich. Stolz, ob der Handhabe eines so mächtigen Werkzeuges; Scham ob der Tatsache, dass es so weit kommen musste. Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Mit diesem Gedanken, und einem wohlig flauen Gefühl in der Magengrube schlafe ich ein.
Wie programmiert, weckt mich die Stereoanlage exakt um 5:45 mit dem „Hells Bells“-Intro. Ohne Zeit für Frühstück oder Morgenhygiene genommen zu haben, wird der tarnfarbene Morgenmantel übergeworfen und die Protagonistin der heutigen Operation auf dem Balkon in Position gebracht. 5:50. Sämtliche Funktionen werden kontrolliert, die Steuerung kalibriert. 5:55. Der Zielbalkon wird über Feldstecher geortet. Keine ungewöhnliche Aktivität. Der Himmel färbt sich langsam orange. 5:58. Ein Moment der Einkehr. Position in Deckung hinter den Blumentöpfen. Einige tiefe Atemzüge im Yogi-Sitz. 5:59. Starten der App.
Punkt 6:00. Takeoff.
Ich drücke den grünen Button auf dem Multifunktionstelefon und neben mir beginnen acht Rotoren monoton zu summen. Die Drohne hebt ab. Als sie den mittels Aluminiumketten an ihrem Unterleib befestigten Bluetooth-Lautsprecher hebt, stockt sie ein wenig. Die App zeigt durch ein blinkendes „kg“-Zeichen eine externe Belastung an. Die Rotoren summen etwas lauter – der Lautsprecher hebt sich vom Boden. Wie ein Insekt, das eine überproportional große Beute transportiert, bringt die Drohne ihre Last, den stärksten im Handel erhältlichen mobilen Speaker, ein rotbelettertes Exemplar der Marke „Teufel“ vor dem feindlichen Balkon in Position.
Das Summen ist kaum noch wahrzunehmen. Über Feldstecher beobachte ich, wie sich der Flugkörper in etwas drei Metern Entfernung zum Zielbalkon ruhig in der Luft hält. Ich wechsle die App. Ein Vogel Zwitschert. Play.
In einer bereits für weit entfernte Individuen wie mich erregenden Lautstärke erklingt Katrina and the Wave’s „Love shine a light“ durch die Siedlung. Fenster leuchten auf. Stimmen hallen von der Ostfront. Eine Hauskatze schreit erbärmlich vom Fenstersims. Kollateralschäden.
Ich bin nicht stolz auf das Anwenden solch drastischer Mittel, doch tröste ich mich mit dem Gedanken, auch mit diesem aggressiven Schachzug noch lange nicht auf das Niveau meines Kontrahenten gesunken zu sein.
Das Lied nähert sich dem Ende. Zwischen den hell erleuchteten Fenstern an der Ostfront bleibt ein Balkon dunkel. Unbeeindruckt verhängen die Fransen den Blick ins Innere. Die schreienden Kinder und Polizeisirenen ausblendend, fokussiere ich mich durch den Feldstecher ganz und gar auf die Balkontüre, der mein Angriff galt. Nichts.
Hatte die Zielperson die Nacht anderswo verbracht? Oder bei Katrinas ersten Silben das Bewusstsein verloren? Wo bleibt die Reaktion?
Auch als Drohne und Anhängsel wieder neben mir landen bleibe ich mit meinen Blicken starr am Feindlichen Terrain kleben. Erst, als die Kinder verstummen, die Sirenen unverrichteter Dinge zwecks Frühstücksbeschaffung zur Bäckerei pilgern und sämtliche Katzen die Fenstersimse verlassen, löse ich meinen Blick.
Keine Reaktion. Gegner Angriffsunfähig. Das ist ein eindeutiger Sieg.
Um für alle Eventualitäten gerüstet zu bleiben positioniere ich, bevor ich mich der Kaffeemaschine zuwende, Drohne und Lautsprecher erneut auf dem Küchentisch, und bringe mittels Kombistecker die beiden kaum in Mitleidenschaft gezogenen Akkus wieder auf 100%. Niemand weiß, wann und wo der Feind zurückschlagen wird. Im Krieg gibt es keine Regeln.
8:00. Eine Polizistin mit Croissantresten in den Mundwinkeln vernimmt mich an meiner Haustüre zu der Angelegenheit „Ruhestörung 6:02“
9:15. Ich nehme Drohne und Lautsprecher vom Netz und gehe einkaufen.
13:45. Ein Kontrollblick auf Feindgebiet fördert keinerlei Auffälligkeiten zutage.
15:15. Ein höflicher Bankangestellter befragt mich vorsichtig am Telefon, ob ich es für Klug halten würde, meine gesamten Ersparnisse in einer einzigen Online-Bestellung auszugeben.
18:30. Noch immer kein Lebenszeichen hinter den Fransen. Abendmahl. Siegerspaghetti.
22:15. Letzter Check der Einsatzfähigkeit von Drohne und Lautsprecher. Abendhygiene. Feldbett.
23:00. Drifte in den Schlaf.
23:55. Im Traum fliege ich vorbei an endlosen Verstärkerwänden. Brennende Marshall-Logos die von meinem Triumph zeugen. Der gesichtslose Schrecken, die sinistere Schallwelle, das Monster im Schlagerkostüm sind von meiner Audioübermacht in die Untiefen einer dunklen Höhle zurückgedrängt. Verkümmern zwischen LED-Wasserpfeifen und veraltetem Audio-Equipment. Ein ausgestopftes Wiesel sitzt auf meinem Rücken und reitet mich in den orangen Sonnenaufgang.
0:01. Die Welt geht unter. Mit der Wucht einer vulkanischen Eruption werde ich aus dem Sonnenaufgang gerissen, aus dem Feldbett geschleudert und auf den Boden verlagert. Meine Innereien verknoten sich innerhalb von Sekundenbruchteilen zu einem wieselartigen Knäul. In der spontanen Gewissheit, in den drei roten Lichtern auf dem Küchentisch die drei Reiter der Apokalypse erkannt zu haben, besinne ich mich auf die Lebenserhaltung und presse meine Handballen mit aller Macht auf die Ohren. Mein Körper vibriert zum Pfeifen des Tinnitus. Die Überforderung lässt ein klein wenig nach und das Bild fügt sich. Ich glaube, im Zentrum des Weltuntergangs „Walking on sunshine“ ausmachen zu können und in den apokalyptischen Reitern die LED-Anzeige des teuflischen Lautsprechers. Die marginale Erleichterung über die Erkenntnis währt nur kurz, denn das Höllenlärm verursachende Utensil bewegt sich, getrieben von den selbst erzeugten Vibrationen, gefährlich schnell auf die Tischkante zu. Der in solchen Situationen angebrachte dramatische Hechtsprung fällt aus, da mir das Freilegen der Ohrmuscheln ad hoc nicht als menschenmögliche Option erscheint. Also geht der Lautsprecher den Weg alles Sterblichen, und donnert mit der Wucht seines Gewichtes auf den Parkett, wo bereits mitleidig blinkend eine Drohne liegt. Das Pfeifen, das die folgende Stille durchzieht, übersteigt die Zimmerlautstärke. Ich entziehe dem Teufel die Energiequelle, und breche heulend zusammen.
Erneut färbt sich der Himmel orange, und ich nehme den entstandenen Schaden in Augenschein. Die Drohne scheint noch funktionsfähig zu sein – ein erster Test fördert neben den unerheblichen kosmetischen Mängeln keine Fehlfunktionen zutage. Dafür hat sich ihr unproportional klobiger Begleiter all seiner Lebensgeister, nein, Dämonen, entledigt. Das erspart mir die unehrenhafte Hinrichtung des Deserteurs. Wer seine Bluetooth-Signatur so willig dem Feind ausliefert, hat kein Mitleid verdient. Die Delle im Parkett wird stetiges Mahnmal dieser meiner Schande bleiben. Doch was am tiefsten sitzt, ist das Gefühl der Machtlosigkeit. In diesem Konflikt gibt es nur Verlierer.
Es folgt ein mehrtägiges Geplänkel, gespickt mit Gemeinheiten auf beiden Seiten. Sich vor der Balkontüre paarende Katzen, versteckte Windspiele, Nägel, die so an der Türe befestigt sind, dass sich beim Öffnen ein quietschendes Kratzgeräusch ergibt, Signalhörner unter Bürostühlen, auf Kronehit umprogrammierte Zimmerradios und explodierende Gulaschdosen, um nur einige der von wenig Erfolg gekrönten Strategien zu nennen. Doch nach einem Anschlag wie „Noisegate“ kann derartiges den auditiven Blutdurst nicht ehr stillen. Intuitiv ist mir klar, dass unser kindisches Hin und Her von Albernheiten nur das vorsichtige Abtasten vor dem Einsatz einer akustischen Massenvernichtungswaffe sein kann. Und ich werde der erste sein, der diesen Schritt geht.
Es ist schwer zu sagen, wann genau der „Point of no return“ singend an uns vorübergezogen ist. Als die Mitarbeiter des Musikverleihs skeptisch die PA-Traversen an meinem Balkon befestigen und aus acht 4x12er Cabinets und vier Marshall JCM 800 Vollröhren-Amps die Verstärkerwand darunter aufbauen, denke ich darüber nach, wie gerne ich hier eigentlich gewohnt habe. Wegen der Ruhe. Etwas abseits der Stadt. Man ist hier schnell in der Natur.
Die Mitarbeiter des Musikverleihs gehen.
Der Himmel färbt sich Orange.